CAROLLE BÉNITAH
Carolle Bénitah wurde 1965 in Casablanca (Marokko) geboren und absolvierte die Ecole de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne (Paris). Sie arbeitete zehn Jahre lang als Modedesignerin, bevor sie sich 2001 der Fotografie zuwandte. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit Erinnerung, Familie und dem Lauf der Zeit. Bénitah versetzt oft alte Familienschnappschüsse mit handgemachten Akzenten, wie Stickereien, Perlen und Tuschezeichnungen und versucht so, ihre eigene Geschichte als Tochter, Frau und Mutter neu zu interpretieren. Carolle Bénitah lebt und arbeitet in Marseille, Frankreich.
«Jamais je ne t`oublierai» (ich werde dich nie vergessen) ist ein Werk über die Erinnerung an die Familie - an glückliche, manchmal imaginäre und auch negative Erfahrungen.
«Ich stellte fest, dass es von meinen Eltern von der Zeit vor ihrer Hochzeit nur sehr wenige Bilder gab. Es ist eine regelrechte Bildwüste, die sich daraus erklärt, dass meine Eltern im Marokko der 1930er Jahre geboren wurden, einer Zeit ohne viel modernen Komfort. Meine Großmutter hielt die wenigen vorhandenen Fotos verschlossen, auch um nicht die Tragödie des Unfalltodes eines ihrer Söhne immer wieder neu heraufzubeschwören. Ein blinder Fleck für ein Leben voller Schmerzen. Aber dieser Mangel an Bildern ließ mich verwaist und gefühlt ohne Wurzeln aufwachsen.
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So begann ich schließlich, anonyme Fotos auf Flohmärkten zu kaufen und sammle diese seitdem. Ich fühle mich von dem Glück angezogen, das auf diesen Fotos gezeigt wird, von Menschen, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt, von Menschen, die lieben und verschwinden. Es sind Geister, die mir schweigend folgen, und ich benutze sie, um ein imaginäres Familienalbum anzulegen, das das Vergessen aufhält. Ich rekonstruiere die fehlende Erinnerung an meine Familie, indem ich aus den gefundenen Bildern das herauslöse und zuschneide, was verschwunden ist, sowohl Menschen als auch Orte. Ich wähle positive und idealisierte Aspekte einer Identität, um all die Geschichten zu veranschaulichen, die man sich normalerweise über Vorfahren erzählt.
Diese ausrangierten Erinnerungsstücke, die ich für ein paar Euro erwerbe, ändern ihren Status durch eine Geste: Ich trage Blattgold auf das Foto auf. Indem ich Teile des Bildes, genauer gesagt die Gesichter dieser `Geister`, überdecke, werden sie zu Projektionen. Gold, dieses Material der Fantasie und Gier, ist ein rostfreies Metall. Im Gegensatz zu einem schwarzen Loch, das alle Materie absorbiert, ist die flache goldene Oberfläche ein traumhaftes Universum, das keine Materie durchlässt. Das Gold wirkt gleichzeitig als Erinnerungsloch und als brillante Oberfläche, in der sich unsere Gesichter spiegeln.»
Carolle Bénitah